Vermisster Arian: Kriminalistik-Professor vermutet tragische Intention hinter den neuen Polizei-Aktionen (2024)

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Von: Maximilian Kettenbach

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Der kleine Arian bleibt trotz weiteren Suchaktionen vermisst. Kriminalwissenschaftler Christian Matzdorf ordnet den Fall für uns ein und erklärt das Vorgehen der Polizei.

Bremervörde – Es bleibt dabei. Auch über einen Monat nach dem letzten Lebenszeichen auf einer Überwachungskamera fehlt vom kleinen Arian (6) aus dem niedersächsischen Bremervörde-Elm jede Spur.

Am Donnerstag (23. Mai) wurde noch einmal der Fluss Oste zwischen Bremervörde und der Mündung in die Elbe mit Drohnen abgesucht – dafür habe es jedoch keinen bestimmten Anlass gegeben. Ein besonderes Augenmerk habe dabei auf für Suchboote schwer zugänglichen Flussteilen gelegen. Bereits eine Woche zuvor blieb eine Suchaktion ohne Erfolg.

Arian seit über einem Monat vermisst – Professor für Kriminalistik lobt Polizeisuche bei Elm/Bremervörde

Arianverschwand am Abend des 22. April – wohl, nachdem er im Elternhaus seinen gewohnten Ritualen nachgegangen war. Auch der Zusammenhang mit einer Sandmännchen-Sendung ist nicht auszuschließen. Arian hatte kurz vorher gelernt, Türen zu öffnen. Seine Eltern schlugen umgehend nach dem Verschwinden Alarm. Zeitweise waren bis zu 1200 Menschen Tag und Nacht im Einsatz. Die Schwierigkeit war von Beginn an, dass Arian nicht auf Rufe reagieren dürfte. Mittlerweile arbeitet eine fünfköpfige Ermittlungsgruppe an dem Fall.

Christian Matzdorf ist Professor für Kriminalistik. Er war 30 Jahre lang bei der Landespolizei Berlin und klärte dort Gewaltdelikte auf, ehe er begann, Kriminalfälle aus der wissenschaftlichen Perspektive zu betrachten. Er erklärte schon beim Vermisstenfall Rebecca Reusch, dass der kleinste Hinweis „einen Dominoeffekt auslösen“ könne. Bei Arian fehlen der Polizei aktuell konkrete Anhaltspunkte. Doch Matzdorf lobt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA: „Vieles spricht für eine systematische und kindgerechte Vorgehensweise. Gerade unter diesen Umständen. Im besonderen Fall des autistischen Arian gingen die eingesetzten Kräfte augenscheinlich sehr kreativ vor. Das hat mich erstaunt – im positiven Sinne.“

Große Suche nach Arian abgebrochen – Polizei geht nicht von Kriminalfall aus

Dörfer, Wiesen und Wälder wurden längst durchkämmt. Der Fluss Oste wurde mehrfach mit Booten abgefahren, Drohnen und Helikopter überflogen wiederholt die ländliche Region. Nach einer Woche entschied die Polizei in Absprache mit dem niedersächsischen Innenministerium, die großangelegte Suche einzustellen und nur noch punktuell Hinweisen nachzugehen.

Für den Kriminalwissenschaftler Matzdorf ist das die logische Konsequenz: „Insbesondere bei Kindern muss man berücksichtigen, dass die Ermittler schnell erfolgreich sein müssen, weil Kinder sich im Unterschied zu gesunden erwachsenen Personen sich nicht selbst schützen und versorgen können und besonderen Gefährdungen ausgesetzt sind, zu denen auch Straftaten gehören können.“

Christian Matzdorf

Christian Matzdorf ist Professor für Kriminalistik mit Schwerpunkt Kriminaltechnik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Dort leitet er das Kriminaltechnikzentrum sowie den Krisenstab der Hochschule. Zudem ist er Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK). Er war über 30 Jahre bei der Landespolizei Berlin.

Diese schließt die Polizei nicht aus, sagt jedoch: Gegen einen Kriminalfall sprechen die kleinen Fußabdrücke, die an der Oste gefunden wurden und mutmaßlich von Arian stammen. Für wahrscheinlicher halten die Beamten jedoch, dassArianeinen Unfall ohne fremde Beteiligung hatte.

Matzdorf im Fall Arian: „Aktuell dürfte die Intention nicht mehr sein, ein lebendiges Kind zu finden“

„Aufgrund der aktuellen Erkenntnisse, die öffentlich sind, wie etwa dem Autismus, das Alter und die Hilflosigkeit des Jungen, ist ein Unglücksfall aufgrund einer möglichen Orientierungslosigkeit wohl berechtigterweise eine Leitthese“, sieht auch Matzdorf so. Allerdings sei aus kriminalwissenschaftlicher, aber auch kriminalpraktischer Sicht einfach nichts für absolut unmöglich zu halten. Man müsse weiter berücksichtigen, dass bisher unbekannte oder gegebenenfalls auch bereits bekannte Personen „strafrechtlich relevant beteiligt sind“. Dies sei praktisch eine Verpflichtung, heiße aber nicht, dass es aktuell auch konkrete Anhaltspunkte gebe.

Die Aufklärung eines solchen Falles sei nicht nur aus Ermittlerperspektive wichtig. Vielmehr „stellt sie auch eine moralische und ethische Pflicht dar“, befindet Matzdorf. So könne man Lehren zur Prävention ähnlicher Vorfälle ziehen und Angehörigen Gewissheit verschaffen. „Gerade der letztgenannte Aspekt darf in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden“, weiß der Berliner Professor.

Matzdorf betont immer wieder: Es müssen Entscheidungen getroffen werden, die der Öffentlichkeit und den Angehörigen manchmal schwer zu vermitteln sei. „Aktuell dürfte die Intention nicht mehr sein, ein lebendiges Kind zu finden, sondern vielleicht über ein vermutlich totes Kind herauszufinden, ob von einer Straftat auszugehen ist“, so Matzdorf.

Vermisster Arian: Kriminalistik-Professor vermutet tragische Intention hinter den neuen Polizei-Aktionen (1)

Vier Phasen eines Vermisstenfalls

Wie geht es nun weiter? Wird der Fall Arian bald eine Art Cold Case wie die vermissten Mädchen Rebecca Reusch oder Maddie McCann? Noch ist es nicht soweit, sagt Matzdorf. Die zusammengestellte Ermittlungsgruppe der Polizei ist noch bis Ende Juni vorgesehen.

Matzdorf, der einst selbst die Suche in einem ähnlichen Vermisstenfall leitete, gliedert das Vorgehen der Ermittler in mehrere Phasen.

  1. In der ersten Phase geht es um Stunden. Es ist die entscheidende. Hier geht es vorrangig um Gefahrenabwehr und der Aspekt der Strafverfolgung spielt nur im Hintergrund oder bei entsprechenden Hinweisen eine Rolle. „Nach einer Woche haben sich die Ermittler dann dazu entschieden, die Suche nach dem Kind unter der Prämisse, es lebend aufzufinden, zu beenden“, sagt Matzdorf.
  2. Die folgende Phase bezeichnet der Kriminalistik-Professor als „aufklärend”. Der Sachverhalt hinter dem Verschwinden muss intensiver als in der ersten Phase aufgeklärt werden, um zu prüfen, ob ein Unglücksfall oder ein als Straftat einzuordnender Ausgangssachverhalt vorliegt. Auch Ex-Mordermittler Axel Petermann hatte sich dazu bereits geäußert.
  3. Die dritte Phase ist dann eine reine Ermittlungsphase auf Basis der bisher vorliegenden und noch zu erhebenden Erkenntnisse.
  4. Irgendwann werden die Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt. Der Fall wäre dann ein sogenannter Cold Case, falls es weiterhin nicht geklärte, aber auch nicht klärbare Aspekte gibt, die Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat gegen das Leben des Kindes bieten. Die Ermittlungen können immer dann wieder aufgenommen werden, wenn sich neue relevante Hinweise oder Theorien ergeben.

Auch wenn nicht bekannt ist, wann die Polizei die aktuellen Ermittlungen einstellt, die Beamten würden es mit Sicherheit nur schweren Herzens tun. Heiner van der Werp, der als Polizeisprecher seit Tag eins mit dem Fall befasst ist und vor Ort war, sagte Mitte Mai: „Wir sind alle Profis genug. Aber es ist ein besonderer Fall, der einen nicht kaltlässt. Wir tun alles Menschenmögliche, umAriannoch zu finden.“ Damit spricht er seinen Kollegen mit Sicherheit aus der Seele.

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